Diskriminierung in der Sprache: Ein notwendiger Wandel
Mein Gespräch mit Yvonne Magwas über die Verwendung des „ZWorts“ im Deutschen Bundestag
Mein Name ist Zoe, und in der vergangenen Woche hatte ich die außergewöhnliche Gelegenheit, an
einem Projekt des Deutschen Bundestages teilzunehmen. Besonders prägend war für mich eine
Podiumsdiskussion, an der ich gemeinsam mit niemand Geringerem als der Vizepräsidentin des
Deutschen Bundestages, Yvonne Magwas, sowie dem Holocaust-Überlebenden Roman
Schwarzmann teilnehmen durfte.
Yvonne Magwas ist seit 2021 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und gehört der CDU/CSU/-Fraktion an. Sie studierte Soziologie, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre und war viele Jahre
als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag tätig, bevor sie selbst Abgeordnete wurde. In ihrer
politischen Arbeit setzt sie sich für verschiedene gesellschaftliche Themen ein, doch gerade im
Bereich Antiziganismus gibt es weiterhin große Leerstellen und ausbleibende klare Positionierungen.
Roman Schwarzmann ist ein Holocaust-Überlebender und einer der letzten Zeitzeugen der NSVerbrechen. Er wurde 1941 im Ghetto von Odessa geboren und überlebte als Kind die
Deportationen nach Transnistrien, wo Zehntausende Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma
ermordet wurden. Heute engagiert er sich unermüdlich für die Erinnerungskultur und warnt vor dem
Erstarken rechtsextremer Strömungen in Europa.
Ich wusste, dass dies eine einmalige Gelegenheit war, ein Thema anzusprechen, das seit Jahren in
der Sinti- und Roma-Community diskutiert wird – und dennoch in der deutschen Politik weiterhin
auf taube Ohren stößt: die unreflektierte Verwendung des diskriminierenden Begriffs „Zigeuner“ in
politischen Debatten.
Die Frage, die gestellt werden musste
Während meiner Teilnahme am Projekt hatte ich die Möglichkeit, eine direkte Frage an Yvonne
Magwas zu richten. Mir brannte es auf der Zunge, zu erfahren, warum dieser Begriff immer noch
keinen offiziellen diskriminierenden Status hat, wenn er in Bundestagsdebatten fällt. Es gibt bis heute
keine feste Regelung, die seine Verwendung sanktioniert oder klar als rassistisch einstuft. Das
bedeutet, dass Abgeordnete ihn weiterhin ungestraft nutzen können – trotz seiner tief verwurzelten
historischen Belastung und seiner Rolle in der Verfolgung von Sinti und Roma während des
Holocaust.
Meine Frage lautete daher:
„2023 wurde während einer Bundestagsdebatte zum Bericht der unabhängigen Kommission
Antiziganismus das Wort Zigeuner verwendet. Dieser Begriff ist eine rassistische Beleidigung gegen
unsere Minderheit, die Sinti und Roma. Unter diesem Begriff wurden wir während des Holocaust
verfolgt und ermordet. Die Verwendung des N-Worts ist ausdrücklich untersagt – und das ist auch
gut so. Wir fordern seit Jahren, dass auch das Z-Wort als Beleidigung anerkannt wird. Warum gibt
es hier eine unterschiedliche Behandlung? Welche Maßnahmen ergreifen Sie als Vizepräsidentin
des Bundestages, um sicherzustellen, dass solche Begriffe nicht weiter zur Normalisierung von
Diskriminierung beitragen?“
Die Antwort von Yvonne Magwas – Eine politische Standardfloskel?
Die Antwort von Frau Magwas war wenig konkret. Sie sprach allgemein über die Notwendigkeit einer
besseren Debattenkultur und erwähnte, dass das Präsidium des Bundestages bereits daran arbeite,
das Ordnungsrecht zu verschärfen. Sie betonte, dass es in den letzten Jahren zunehmend zu
Grenzüberschreitungen in der Sprache gekommen sei und dass auch Ordnungsmaßnahmen, wie
Ordnungsgelder und Saalverweise, verschärft würden.
Doch genau das war nicht meine Frage gewesen.
Die eigentliche Problematik – die fehlende klare Regelung zur Ächtung des Begriffs „Zigeuner“ –
wurde in ihrer Antwort nicht direkt behandelt. Es blieb ein vager Hinweis auf Maßnahmen gegen
„beleidigende Sprache“, ohne konkret auf den historischen und gesellschaftlichen Kontext der Sinti
und Roma einzugehen.
Für mich und viele in meiner Community war diese Reaktion nicht überraschend. Wir kennen diese
Art von Antworten – sie sind diplomatisch formuliert, lassen Raum für Interpretationen, aber führen
selten zu tatsächlichen Veränderungen.
Ein symbolträchtiger Tag – und das Schweigen der Politik
Besonders erschreckend war für mich, dass diese Diskussion ausgerechnet am 80. Jahrestag der
Befreiung von Auschwitz stattfand. Ein Tag, an dem man erwarten könnte, dass politisch
Verantwortliche ihrer historischen Verpflichtung nachkommen und sich bewusst mit der Verfolgung
und Ermordung der Sinti und Roma auseinandersetzen. Doch das Gegenteil war der Fall:
Kein einziger deutscher Politiker oder eine Politikerin erwähnte an diesem Tag die Sinti und Roma.
Wenn dann als kleine Randnotiz.
Nicht im Bundestag, nicht in Gedenkreden. Es waren ausschließlich Holocaust-Überlebende, die an
das Schicksal unserer Vorfahren erinnerten. Sie, die damals Nachbarn, Freunde, Mitmenschen
verloren haben, schienen die Einzigen zu sein, die sich noch an diese Geschichte erinnerten.
Die politische Ignoranz gegenüber der Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma ist leider kein neues
Phänomen. Erst 1982 – fast 40 Jahre nach Kriegsende – erkannte die Bundesrepublik offiziell den
Völkermord an unserer Minderheit an. Bis dahin wurden die Überlebenden ignoriert, ihre Stimmen
nicht gehört. Und auch nach 80 Jahren der Befreiuung von Auschwitz dürden wir nicht lockerlassen,
wir sind keine Randnotiz.
Die politische Realität: Antiziganismus in Deutschland
Doch die Tragik reicht weit über die Vergangenheit hinaus. Antiziganismus ist keine Geschichte – er
ist Gegenwart.
In den letzten Wochen haben wir erneut gesehen, wie sich politische Strukturen verschieben.
Friedrich Merz, die AfD, rechte Ideologien – sie gewinnen an Einfluss. Rassismus wird zunehmend
normalisiert, und wir wissen aus der Geschichte, wohin das führt.
Ein erschreckendes Beispiel: 2018 stellte die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag eine Anfrage an
die Staatsregierung nach der Anzahl von Sinti und Roma in Deutschland.
Im Juni 2018 stellte die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag eine Anfrage, in der sie die
Staatsregierung nach der Anzahl der in Sachsen lebenden Sinti und Roma fragte. Diese Initiative
wurde vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma scharf kritisiert, da sie Erinnerungen an die
nationalsozialistische Sondererfassung weckte und Ängste vor erneuter Diskriminierung schürte.
Zudem sorgte eine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion im März 2018 für Empörung, als sie nach der
Entwicklung der Zahl von Menschen mit Behinderungen fragte und dabei einen Zusammenhang mit
"Heirat innerhalb der Familie" und Migrationshintergrund suggerierte. Sozialverbände verurteilten
diese Anfrage als menschen- und lebensfeindlich und zogen Parallelen zu den dunkelsten Kapiteln
der deutschen Geschichte.
Solche Anfragen der AfD zielen darauf ab, Minderheiten zu stigmatisieren und gesellschaftliche
Vorurteile zu verstärken. Für die Sinti und Roma in Deutschland bedeuten diese Vorstöße eine
potenzielle Gefahr der Ausgrenzung und Diskriminierung. Die gezielte Erfassung ethnischer Gruppen
erinnert an historische Verfolgungen und untergräbt das Vertrauen in eine inklusive und respektvolle
Gesellschaft.
Diese Anfrage erinnert an eine Zeit vor mehreren Jahrzehnten, in der ebenfalls Listen geführt
wurden. Eine Zeit, die in der größten Menschheitskatastrophe mündete. Dass eine Partei wie die AfD
offen mit solchen Fragen arbeitet, zeigt, wie wenig aus der Geschichte gelernt wurde.
Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet jene Kräfte, die den Holocaust relativieren oder offen
diskriminierende Begriffe verwenden, immer weiter an Einfluss gewinnen – und dass die politische
„Mitte“ sich zunehmend für eine Zusammenarbeit mit ihnen öffnet.
Was die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ für uns bedeutet
Der Begriff „Zigeuner“ ist ein Fremdbegriff, der historisch als abwertende und diskriminierende
Bezeichnung für die Sinti und Roma verwendet wurde. Er hat seinen Ursprung im Mittelalter und
wurde von der Mehrheitsgesellschaft genutzt, um eine Bevölkerungsgruppe zu stigmatisieren, die als
„fremd“ und „nomadisch“ galt. Sprachlich wird der Begriff häufig mit dem griechischen Wort
„Athinganoi“ in Verbindung gebracht, das im Byzantinischen Reich eine religiöse Sekte bezeichnete,
die als unberührbar galt. Über die Jahrhunderte hinweg wurde er in vielen europäischen Sprachen
übernommen und diente als Sammelbegriff für Menschen, die außerhalb der sesshaften Gesellschaft
lebten – oft verbunden mit negativen Stereotypen.
Besonders während der NS-Zeit erlangte der Begriff eine mörderische Bedeutung: Die
Nationalsozialisten nutzten ihn, um Sinti und Roma systematisch zu verfolgen und als „minderwertige
Rasse“ zu klassifizieren. Unter dieser Bezeichnung wurden Zehntausende verschleppt, gefoltert und
ermordet. Da das Wort unmittelbar mit dieser Verfolgung und der rassistischen Ideologie des
Nationalsozialismus verknüpft ist, lehnt die Sinti- und Roma-Community seine Verwendung
entschieden ab.
Ein weiteres Beispiel für die abwertende Herkunft des Begriffs „Zigeuner“ findet sich in der
deutschen Sprache selbst. Das Wort wird oft mit „Zieh-Gauner“ in Verbindung gebracht, was so viel bedeutet wie umherziehender Betrüger. Diese volksetymologische Herleitung verstärkt das negative
Bild von Sinti und Roma als angeblich kriminelle Nomaden, eine stereotype Zuschreibung, die seit
Jahrhunderten zur Stigmatisierung der Minderheit genutzt wird.
Solche Begriffe haben dazu beigetragen, dass Sinti und Roma in Europa als „fremd“ und
„unerwünscht“ angesehen wurden. Diese Vorstellung führte über Jahrhunderte hinweg zu
Verfolgung, Diskriminierung und letztlich zum Holocaust an zehntausenden Sinti und Roma während
der NS-Zeit. Trotz dieser historischen Belastung wird der Begriff „Zigeuner“ bis heute verwendet – oft
ohne Bewusstsein für seine tief verankerte rassistische Bedeutung.
Deshalb ist es für die Community essenziell, dass dieses Wort offiziell als diskriminierende
Beleidigung anerkannt wird – ebenso wie andere rassistische Begriffe, die in der Gesellschaft längst
geächtet sind. Die fortgesetzte Nutzung trägt nicht nur zur Normalisierung von Antiziganismus bei,
sondern verhindert auch eine echte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und
den Rechten der Sinti und Roma.
Heute wird „Zigeuner“ in vielen Kontexten noch immer genutzt – oft ohne Bewusstsein für seine
historische und diskriminierende Bedeutung. Die Community fordert seit Jahren, dass der Begriff
offiziell als rassistische Beleidigung anerkannt wird, ähnlich wie das N-Wort für Schwarze Menschen.
Dennoch gibt es in Deutschland bislang keine feste Regelung, die seine Verwendung im öffentlichen
oder politischen Raum sanktioniert. Die anhaltende Nutzung des Begriffs trägt zur fortgesetzten
Diskriminierung bei und zeigt, wie tief verwurzelt antiziganistische Strukturen in der Gesellschaft
noch immer sind.
Fazit – Ein Appell zur Wachsamkeit
Die politische Landschaft in Deutschland befindet sich in einem besorgniserregenden Wandel. Die
Wahlergebnisse zeigen, dass die AfD in vielen Regionen erstarkt und immer mehr Wählerstimmen
auf sich vereint. Was einst als Protestpartei begann, ist mittlerweile ein fester Bestandteil der
politischen Realität geworden. Noch alarmierender ist die Tatsache, dass etablierte Parteien,
insbesondere die CDU, zunehmend bereit sind, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Jüngste
Entwicklungen in Thüringen und Sachsen haben gezeigt, dass politische Akteure der sogenannten
Mitte sich nicht mehr klar von rechtsextremen Kräften abgrenzen, sondern vielmehr den
Schulterschluss suchen – sei es aus taktischem Kalkül oder aus ideologischer Annäherung.
Diese Normalisierung ist gefährlich. Sie verschiebt die Grenzen des Sagbaren und Akzeptierten, sie
öffnet Türen für Diskriminierung und gesellschaftliche Spaltung. Zeitzeugen, die die dunkelsten
Kapitel unserer Geschichte überlebt haben, warnen uns eindringlich vor genau diesen Entwicklungen.
Sie haben erlebt, wie schleichende politische Radikalisierung, gepaart mit gesellschaftlicher
Gleichgültigkeit, in den größten Menschheitsverbrechen mündete. Ihre Stimmen mahnen uns, aus
der Vergangenheit zu lernen – doch sind wir bereit, zuzuhören?
Die Geschichte hat gezeigt, dass das Vergessen immer der erste Schritt zur Wiederholung ist. Es
reicht nicht aus, sich auf demokratische Werte zu berufen – wir müssen sie aktiv verteidigen. Es ist
unsere gemeinsame Verantwortung, gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus
aufzustehen, wachsam zu bleiben und uns entschieden gegen jede Form der Normalisierung von
Extremismus zu stellen.
Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie muss jeden Tag aufs Neue erkämpft werden.
Die kommenden Wahlen sind entscheidend. Jeder Einzelne trägt Verantwortung für die Richtung, in
die sich unser Land bewegt. Es ist an uns, für eine offene, gerechte und diskriminierungsfreie
Gesellschaft einzustehen. Lassen wir nicht zu, dass die Fehler der Vergangenheit sich wiederholen.
Erinnerung ohne Grenzen – Ein Moment der Solidarität
Ein Moment, der mich besonders berührt hat, war mein Gespräch mit Roman Schwarzmann. Mit
großer Klarheit und Überzeugung sprach er darüber, dass Sinti und Roma im Holocaust genauso wie
die jüdische Bevölkerung Opfer systematischer Verfolgung und Gewalt waren. Er berichtete mir von
Gedenkstätten in der Ukraine, insbesondere in Odessa, die an die ermordeten Sinti und Roma
erinnern. Es war beeindruckend zu sehen, wie tief er sich mit unserer Geschichte auseinandergesetzt
hat – nicht nur aus historischer Perspektive, sondern mit echtem Mitgefühl und Respekt.
Er besucht diese Gedenkstätten regelmäßig, um die Erinnerung wachzuhalten. Er sprach nicht
ausdrücklich darüber, aber ich konnte es spüren: Für ihn gibt es keine Trennung zwischen den Opfern
des Holocaust. Sinti und Roma gehören für ihn selbstverständlich zu den Mitverfolgten und
Ermordeten. Diese Haltung zeigte sich nicht nur in unserem Gespräch, sondern auch in seiner Rede
im Bundestag, in der er uns immer wieder klar und deutlich erwähnte – ein starkes Zeichen der
Anerkennung, das in der Politik oft fehlt.
Am Ende unseres Gesprächs machte er mir ein besonderes Angebot: Er lud mich ein, nach Odessa zu
kommen, um gemeinsam die Gedenkorte zu besuchen. Zum Abschied nahm er meine Hand, hielt sie
mehrere Sekunden, nickte mir zu und sah mir tief in die Augen. In diesem Moment spürte ich, dass er
nicht nur mit mir sprach, sondern durch mich auch meinen Vorfahren seine Solidarität ausdrückte –
jenen Sinti und Roma, die im Holocaust verfolgt und ermordet wurden. Es war für mich nicht nur ein
Zeichen des Respekts, sondern auch ein starkes Symbol der Verbindung zwischen unseren Völkern.
Diese Begegnung werde ich nie vergessen. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Brücken zwischen
unseren Erinnerungen zu bauen – denn nur gemeinsam können wir verhindern, dass Geschichte sich
wiederholt.