Bericht zur Abschiebesituation von Roma in Bosnien und Deutschland

Die Abschiebung von Roma aus Deutschland ist ein hochaktuelles und humanitär bedenkliches Thema. Das folgende Interview mit Leonardo beleuchtet nicht nur seine persönliche Situation, sondern auch die allgemeine Lage von Roma in Bosnien und Deutschland.

Hintergrund zur Abschiebung

Roma gehören zu den am stärksten gefährdeten Minderheiten in Europa. In Deutschland sind viele von ihnen seit Jahrzehnten ansässig, leben jedoch oft mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Leonardo, 25 Jahre alt, ist einer von ihnen. Seine Eltern flohen 1992 vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland, und er selbst wurde im Jahr 2000 hier geboren. Dennoch ist seine Zukunft ungewiss: Seine Duldung läuft am 18. März aus, und eine Verlängerung ist nicht sicher. Sollte die Verlängerung nicht genehmigt werden, droht ihm die sofortige Abschiebung nach Bosnien.

Solche Fälle sind keine Einzelfälle. Trotz nachweislicher Integration erhalten viele Roma in Deutschland kein dauerhaftes Bleiberecht. Sie stehen vor erheblichen bürokratischen Hürden, und die politischen Entscheidungen zur Einstufung von Ländern wie Bosnien als "sichere Herkunftsstaaten" haben die Situation für sie weiter verschärft. Besonders betroffen sind Familien, die bereits lange in Deutschland leben, aber keinen gesicherten Aufenthalt erhalten.

Interviewausschnitt

Description of image

Leonardo hat sich trotz dieser Unsicherheit stark engagiert. Er arbeitet ehrenamtlich in der Bahnhofsmission und setzt sich aktiv für die Rechte von Roma ein. Seine Integrationsbemühungen werden jedoch durch das bestehende Arbeitsverbot behindert, das ihm den Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verwehrt. Dies zeigt, wie paradoxe gesetzliche Bestimmungen Integration verhindern, anstatt sie zu fördern.
In diesem Interview spricht Leonardo über die existenzielle Bedrohung durch Abschiebung, die er und seine Familie erfahren, sowie über die allgemeine Lage der Roma in Deutschland und Bosnien. Er schildert die Herausforderungen, mit denen Roma aufgrund von Diskriminierung, fehlenden Perspektiven und unsicherem Aufenthaltsstatus konfrontiert sind, und gibt Einblicke in seinen persönlichen Kampf um ein Bleiberecht.

Zoe: Hallo! Wie geht es dir?

Leonardo: Mir geht es gut, aber gesundheitlich bin ich etwas angeschlagen. Mein Hals fühlt sich gereizt an, hoffentlich wird es nicht schlimmer.

Zoe: Verstehe. Dann fangen wir doch einfach an. Stell dich doch kurz vor: Wer bist du, wie alt bist du und wo kommst du her?

Leonardo: Ja, hi nochmal! Mein Name ist Leonardo, ich komme ursprünglich aus Bosnien. Meine Eltern sind bereits 1992, während des Bosnienkriegs, nach Deutschland gekommen. Ich selbst wurde im Jahr 2000 geboren und bin in Deutschland aufgewachsen – mit ständigen Aufenthaltswechseln. Ich komme aus Löbau, einer kleinen Stadt in Sachsen, wo ich auch meinen Schulabschluss gemacht habe. Ich bin 25 Jahre alt und sehr aktivistisch tätig, insbesondere mit meiner Gruppe gegen Antiromaismus in Dresden. Vielleicht hast du von uns gehört?

Zoe: Ja, wart ihr auch in Berlin bei der Kundgebung für unser Mahnmal? Dann habe ich euch wahrscheinlich gesehen.

Leonardo: Ja, genau! Wir waren dort mit unserer Gruppe gegen Antiromaismus. Neben meiner politischen Arbeit bin ich auch in der Jugendarbeit aktiv, insbesondere in der Freien Evangelischen Gemeinde, wo ich ehrenamtlich mithelfe.

Zoe: Ist das auch eine ehrenamtliche Tätigkeit oder arbeitest du dort hauptberuflich?

Leonardo: Es ist alles ehrenamtlich. Leider habe ich ein Arbeitsverbot, sonst würde ich gerne regulär arbeiten. Ich engagiere mich auch bei der Bahnhofsmission und setze mich in der Migrationspolitik ein, insbesondere für Bildungsprojekte. Zudem unterstütze ich meine pflegebedürftigen Eltern und übernehme viel Bürokratie für sie. Manchmal ist das alles ein bisschen viel, aber ich versuche, es zu bewältigen.

Zoe: Das klingt nach einer Menge Verantwortung. Ich würde gerne direkt auf dein Arbeitsverbot und deine aktuelle Situation eingehen. Du hast erwähnt, dass du von einer Abschiebung bedroht bist. Wie sieht deine Lage aktuell aus?

Leonardo: Ja, ich bin derzeit bis zum 18. März geduldet. Ob meine Duldung verlängert wird, ist ungewiss – es könnte sein, dass ich am Tag meines Termins direkt abgeschoben werde. Es gibt Fälle wie den von Robert, der 30 Jahre in Deutschland lebte und dann plötzlich bei der Verlängerung seiner Duldung abgeschoben wurde. Diese Angst begleitet mich ständig. Aktuell arbeite ich mit dem Flüchtlingsrat zusammen, um einen Antrag auf Bleiberecht zu stellen. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, über gute Integration oder andere rechtliche Wege eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Zoe: Das ist eine unglaubliche Geschichte. Bedeutet das, dass deine gesamte Familie von der Abschiebung bedroht ist?

Leonardo: Ja, theoretisch schon, aber da meine Eltern schwer krank sind und meine Schwestern noch minderjährig, können sie derzeit nicht abgeschoben werden. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir in Sicherheit sind. Ich könnte jederzeit abgeschoben werden, da ich über 18 bin. Das Einzige, was mich aktuell noch schützt, ist, dass meine Familie auf mich angewiesen ist.

Die Lage der Roma in Bosnien

Roma in Bosnien und Herzegowina gehören zu den am stärksten marginalisierten und diskriminierten Gruppen im Land. Schätzungen zufolge gibt es zwischen 40.000 und 76.000 Roma in Bosnien, doch genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, da viele Roma sich aufgrund von Diskriminierung nicht offiziell registrieren lassen.

Die Lebensbedingungen sind oft prekär. Rund 90 % der Roma in Bosnien sind arbeitslos, da sie im Arbeitsmarkt stark diskriminiert werden. Viele Roma haben keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, was ihre soziale und wirtschaftliche Situation zusätzlich erschwert. Kinder brechen oft früh die Schule ab, weil sie entweder keine Unterstützung erhalten oder weil ihre Familien auf ihr Einkommen angewiesen sind. Auch sind viele Roma nicht im Besitz von Ausweispapieren, was den Zugang zu staatlichen Leistungen unmöglich macht.

Hinzu kommt die katastrophale Wohnsituation. Viele Roma leben in informellen Siedlungen ohne Strom, fließendes Wasser oder sanitäre Einrichtungen. Der Staat hat zwar einige Wohnprojekte für Roma gestartet, jedoch sind diese oft unzureichend oder nicht nachhaltig finanziert. Viele RomaFamilien bleiben somit in extremer Armut gefangen.

Die medizinische Versorgung ist ebenfalls ein großes Problem. Ein Großteil der Roma-Bevölkerung hat keine Krankenversicherung, was bedeutet, dass sie medizinische Behandlungen oft nicht in Anspruch nehmen können. Dies führt zu einer deutlich niedrigeren Lebenserwartung und einer höheren Kindersterblichkeit in der Roma-Community.

Neben wirtschaftlicher Benachteiligung und schlechten Lebensbedingungen sind Roma in Bosnien zudem massiver Diskriminierung ausgesetzt. Sie gelten in der Gesellschaft oft als Menschen zweiter Klasse, werden in vielen Lebensbereichen ausgegrenzt und haben kaum politische Repräsentation. Obwohl Bosnien offiziell die Roma als nationale Minderheit anerkennt, sind sie von wichtigen politischen Ämtern ausgeschlossen, da die Verfassung nur den drei konstituierenden Volksgruppen (Bosniaken, Kroaten und Serben) politische Mitbestimmung erlaubt.

Viele Roma sehen daher keine Perspektive in Bosnien und versuchen, in andere Länder zu fliehen – meist nach Deutschland, wo sie allerdings oft nur eine Duldung erhalten und weiterhin von Abschiebung bedroht sind. Die Einordnung Bosniens als "sicheres Herkunftsland" ignoriert die realen Bedingungen, unter denen Roma dort leben müssen. In vielen Fällen bedeutet eine Abschiebung für Roma eine Rückkehr in extreme Armut, Diskriminierung und fehlende medizinische Versorgung.

Die Lage der Roma in Deutschland

Die Roma gehören in Deutschland zu einer der größten, aber auch am stärksten marginalisierten Minderheiten. Obwohl sie seit Jahrhunderten in Europa ansässig sind, kämpfen sie bis heute gegen tief verwurzelte Vorurteile, strukturelle Diskriminierung und soziale Benachteiligung. Die Situation der Roma ist dabei von vielfältigen Herausforderungen geprägt, die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bemerkbar machen.

Antiziganismus, die spezifische Form von Rassismus gegen Sinti und Roma, ist in Deutschland weit verbreitet. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergab, dass viele Menschen Vorurteile gegenüber Roma hegen und diese als kriminell oder nicht integrierbar betrachten. Diese Stereotypen spiegeln sich in der Wohnungs- und Arbeitssuche, in der Bildung sowie im täglichen Umgang mit Behörden wider. Viele Roma haben Angst, ihre ethnische Zugehörigkeit offenzulegen, um nicht benachteiligt zu werden.

Viele Roma-Familien in Deutschland leben unter prekären Bedingungen. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum ist für sie oft schwierig, da Vermieter:innen häufig diskriminierende Vorbehalte haben. Berichte zeigen, dass Roma-Familien überdurchschnittlich oft in segregierten Wohnvierteln oder beengten Verhältnissen leben. Besonders geflüchtete Roma sind von Obdachlosigkeit bedroht, da ihnen nach Ablehnung ihrer Asylanträge oft der Zugang zu Sozialleistungen verwehrt bleibt.

Die Arbeitslosenquote unter Roma in Deutschland ist überdurchschnittlich hoch. Viele haben aufgrund von Diskriminierung und mangelnden Bildungsabschlüssen Schwierigkeiten, eine reguläre Anstellung zu finden. Häufig bleibt ihnen nur der informelle Sektor, der keine soziale Absicherung bietet. Auch Arbeitsverbote für geduldete Roma, wie im Fall von Leonardo, erschweren eine nachhaltige wirtschaftliche Integration.

Der Zugang zu Bildung ist für Roma-Kinder in Deutschland problematisch. Viele erleben Diskriminierung in der Schule oder werden in sogenannte Förderschulen eingestuft, unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit. In einigen Bundesländern gibt es zwar gezielte Förderprogramme für Roma-Kinder, doch der Bildungserfolg hängt stark vom Engagement einzelner Lehrkräfte oder lokaler Initiativen ab. Strukturelle Hürden verhindern nach wie vor eine gleichberechtigte Teilhabe.

Auch im Gesundheitsbereich stoßen viele Roma auf Probleme. Aufgrund prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse und mangelnder Krankenversicherung – insbesondere bei Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus – ist der Zugang zu medizinischer Versorgung oft erschwert. Zusätzlich erfahren Roma immer wieder diskriminierende Behandlung im Gesundheitswesen.

Besonders problematisch ist die Abschiebepolitik gegenüber Roma. Viele, die in den 1990er-Jahren vor Kriegen und Diskriminierung geflohen sind, haben bis heute keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Die Einstufung vieler Balkanstaaten als "sichere Herkunftsländer" erleichtert Abschiebungen, obwohl Roma dort nachweislich Diskriminierung, Armut und fehlenden Zukunftsperspektiven ausgesetzt sind. Diese Politik zwingt viele Roma in Deutschland in ein Leben mit ständiger Unsicherheit.

Roma erleben auch auf institutioneller Ebene Diskriminierung. Der Zugang zu Sozialleistungen, Aufenthaltstiteln oder rechtlicher Unterstützung ist oft mit bürokratischen Hürden verbunden. Immer wieder berichten Betroffene von respektloser oder voreingenommener Behandlung durch Behördenmitarbeiter*innen. Antiziganistische Denkweisen sind tief in vielen Strukturen verankert und erschweren den Roma den Zugang zu gleichen Rechten.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es zahlreiche Initiativen und Organisationen, die sich für die Rechte der Roma in Deutschland einsetzen. Lokale Roma-Vereine, Bürgerrechtsbewegungen und internationale Organisationen arbeiten daran, Antiziganismus sichtbar zu machen und strukturelle Diskriminierung abzubauen. Empowerment-Projekte, Bildungsförderungen und rechtliche Unterstützungen helfen Roma, ihre Rechte einzufordern und ihre Situation zu verbessern.

Die Roma in Deutschland stehen weiterhin vor großen Herausforderungen, sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich. Obwohl es Fortschritte gibt, bleibt Antiziganismus eine tief verwurzelte Realität. Eine nachhaltige Verbesserung der Situation erfordert politische Maßnahmen, Bildungs- und Integrationsprogramme sowie einen entschlossenen Kampf gegen Diskriminierung auf allen Ebenen. Der Einsatz von Aktivisten wie Leonardo zeigt, dass Veränderung möglich ist – doch es braucht weiterhin entschlossene Schritte der Gesellschaft und der Politik, um echte Gleichberechtigung für Roma in Deutschland zu erreichen.

Die Folgen einer Abschiebung

Eine Abschiebung hat gravierende Konsequenzen für die Betroffenen. Im Pass oder Passersatzpapier wird der Begriff "abgeschoben" vermerkt, was dazu führt, dass die betroffene Person auch in ihrem Herkunftsland als Flüchtling gekennzeichnet ist. Dies kann zu erheblichen Nachteilen führen, insbesondere in Ländern wie Bosnien, in denen Roma weiterhin stark diskriminiert werden. Darüber hinaus wird in Deutschland mit jeder Abschiebung eine Wiedereinreisesperre verhängt. Diese kann bis zu zehn Jahre oder in besonders schweren Fällen sogar unbefristet bestehen. Auch wenn eine Person durch Heirat oder andere Umstände ein Aufenthaltsrecht in Deutschland erworben hat, kann eine Wiedereinreisesperre zunächst eine erneute Einreise verhindern.

Die Ausländerbehörde entscheidet über die Dauer des Einreiseverbots. In Ausnahmefällen kann die Frist länger als fünf Jahre betragen, insbesondere wenn die Person als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit gilt. Umgekehrt kann das Einreiseverbot aber auch verkürzt oder ganz aufgehoben werden, wenn humanitäre Gründe dafürsprechen oder die Sperre nicht mehr als erforderlich angesehen wird.

Ein gescheiterter Abschiebungsversuch kann die Situation der Betroffenen zusätzlich erschweren. Wer sich gegen die Abschiebung wehrt, muss damit rechnen, dass beim nächsten Versuch eine verstärkte Überwachung erfolgt, möglicherweise mit polizeilicher Begleitung oder medizinischen Maßnahmen. Dies zeigt, wie tiefgreifend die Folgen einer Abschiebung sind und wie sehr sie das Leben der Betroffenen langfristig beeinflussen können.

Mein persönlicher Eindruck von Leonardo

Description of image

Mein Gespräch mit Leonardo war eine besondere Erfahrung. Er ist ein höflicher und inspirierender Mensch in meinem Alter, voller Hoffnung und mit klaren Träumen und Zielen. Seine Liebe zu Jesus gibt ihm Kraft und Hoffnung in schwierigen Zeiten. Trotz der drohenden Abschiebung bleibt er bemerkenswert positiv und tut alles in seiner Macht Stehende, um dagegen anzugehen. Gleichzeitig kümmert er sich liebevoll um seine Familie und unterstützt andere Familien mit ähnlichen Problemen. Mehrmals musste ich ihm sagen, dass er eigentlich ein richtiger Sozialarbeiter ist – und das, obwohl er für seine Arbeit keinerlei Bezahlung erhält. Er handelt aus reiner Güte, ohne an persönliche Vorteile zu denken. Statt sich von der Angst vor einer möglichen Abschiebung lähmen zu lassen, entwickelt er lieber Ideen, um die Sinti- und Roma-Community zu stärken und neue Projekte auf die Beine zu stellen.

Während unseres Gesprächs haben wir uns intensiv über Veranstaltungen, Netzwerkarbeit und Empowerment ausgetauscht. Besonders berührt hat mich, dass er sich auch für mich interessiert hat – dadurch hat sich unser Gespräch nie wie ein klassisches Interview angefühlt. Ich wünsche ihm von Herzen das Beste und hoffe, dass seine Eilanträge und Härtefallanträge Erfolg haben, sodass er in Deutschland bleiben kann. Ich hoffe sehr, ihn auf einer der kommenden Veranstaltungen wiederzusehen, und wünsche ihm und seiner Familie viel Kraft und Gesundheit.

Podcast-Veröffentlichung des Interviews

Das gesamte Interview mit Leonardo wird bald auch als Podcast veröffentlicht. Derzeit befindet sich das Projekt noch in der Produktionsphase, aber es wird bald eine Plattform geben, auf der Interessierte sich die ausführliche Gesprächsversion anhören können. Dadurch soll eine noch breitere Öffentlichkeit erreicht und auf die prekäre Situation von Roma in Deutschland und Bosnien aufmerksam gemacht werden.